Wieso weiß ich nicht, was ich will im Leben?

Die Erkenntnis kam plötzlich, dass ich nicht weiß, was ich will. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich nur eines: So wie es jetzt ist, will ich es nicht mehr. Und das obwohl ich jahrelang darauf hingearbeitet hatte und von außen alles perfekt aussah. Ich hatte ein Haus, eine tolle Ehe, einen süßen 3-jährigen Sohn und eine gut bezahlte Führungsposition in einem großen Unternehmen inklusive Firmenwagen. Was will man mehr?

Trotzdem war es alles andere als perfekt. Ich war gestresst und hatte das Gefühl, dass ich meinen verschiedenen Rollen als Mama, Ehefrau, Führungskraft, Freundin und so weiter niemals gerecht werden kann. Trotzdem habe ich lange weitergemacht und überall mein Bestes gegeben.

Irgendwann wurde die anfangs leise Stimme in mir aber zu laut, um sie weiter zu ignorieren. Will ich so wirklich die nächsten 10, 15, 20 Jahre weitermachen? „Nein!“ hat mein Inneres laut gerufen. Aber was dann? Diese Frage konnte ich nicht richtig beantworten. Und das hat mich gewaltig schockiert. Warum weiß ich mit 34 Jahren denn nicht, was ich will? Was sind meine Ziele? Was ist mir wirklich wichtig?

Ich habe daraufhin einige Leute in meinem Freundes- und Bekanntenkreis befragt und war gleichzeitig erleichtert und noch schockierter, dass es vielen so geht wie mir.

Aber warum ist das so? Und was können wir tun?

1. Die Leistungsgesellschaft

Die erste Prägung erfahren wir schon im Kindesalter. Als Kleinkind bekommen wir noch gesagt, dass wir alles werden können. Sei es Astronaut, Mechaniker oder Tierarzt. Spätestens im Schulsystem wird man aber in die Leistungsgesellschaft eingeführt. Erfolg hat, wer gute Noten nach Hause bringt. Erfolg hat, wer sich anpasst ans System. Wir lernen: Geld sollte man schon verdienen können. Und es kann ja nicht jeder Astronaut werden. Vielleicht doch etwas Bodenständiges, am besten mit Studium. Wir lernen: Leistung ist der Schlüssel für Erfolg, also für soziale Anerkennung und wirtschaftlichen Wohlstand.

Was wir nicht lernen ist, Antworten auf die wichtigen Fragen im Leben in uns selbst zu suchen: Was interessiert mich wirklich? Was sind meine Werte? Was sind meine Stärken? Wie definiere ICH Erfolg?

Und im Erwachsenenleben? Sind wir damit beschäftigt, immer „höher, schneller und weiter“ zu kommen. Durch kontinuierliche Selbstoptimierungsmaßnahmen versuchen wir mit der Arbeitsverdichtung und den rasanten technologischen Veränderungen und Anforderungen mitzuhalten. Pausen und verschiedenste Formen der Achtsamkeit sind dabei oft ein weiteres To Do, um wieder besser und mehr leisten zu können.

Da braucht es Mut und manchmal auch ein einschneidendes Erlebnis, um aus dem Hamsterrad auszusteigen.

Die Lösung:

Mir hat es schon viel geholfen, meine Prägung und die unserer Gesellschaft zu verstehen.

Richtig lösen kann man sich von ihr aber nur, indem man die eigenen, wenig hilfreichen Glaubenssätze des „ich muss…“, „man kann doch nicht…“ auflöst.

Eine empfehlenswerte Herangehensweise ist es, alle Glaubenssätze, die in einem hochkommen, aufzuschreiben. Dann stelle dir die Frage: Stimmt das wirklich? Ziel ist es, Beweise dafür zu suchen, dass der Glaubenssatz nicht stimmt. So beginnt der Prozess. Wichtig ist es hierbei, Geduld zu haben – denn Glaubenssätze aufzulösen geht nicht von heute auf morgen.

Um Antworten auf die Frage „Was will ich eigentlich?“ zu finden, braucht es aber noch mehr. Die Frage nach dem eigenen Purpose, dem was einem wirklich wichtig ist, kann man nur mit geistigem Freiraum gut beantworten. Dabei spielt der nächste Faktor eine starke Rolle.

2. Der Einfluss von Smartphones

Smartphones und Social Media haben unser Leben nachhaltig verändert.

Vergleiche mit anderen Menschen weltweit sind einfacher denn je. Leider vergleichen wir dabei unser eigenes Besenkammerl mit der geschönten Auslage der anderen und fühlen uns dann selbst unzureichend. Toll!

Ein anderer Aspekt, der bei mir persönlich aber wesentlich mehr Einfluss hat, ist das Smartphone selbst. Die Apps auf unseren Smartphones (auch Social Media und Youtube) sind mit dem Ziel designt, uns möglichst oft und lange zu fesseln. Dafür wird psychologisches Wissen gezielt eingesetzt, um z.B. das Belohnungszentrum unseres Gehirns zu aktivieren oder sozialen Druck zu erzeugen. Diese vielen kleinen Belohnungsreize und anderen Methoden führen zu exzessivem Smartphone Gebrauch.

Wir warten auf den Zug und greifen zum Smartphone. Wir wissen gerade nicht, wie es im aktuellen Projekt vorangehen kann und greifen zum Smartphone. Wir sind frustriert über uns selbst und greifen zum Smartphone. Die Konsequenz davon ist, dass wir uns von den wichtigen Dingen ablenken lassen.

Laut einer Studie der Universität Paderborn beeinflusst sogar ein in Sichtweite liegendes, ausgeschaltetes Smartphone unsere Aufmerksamkeit und Konzentrationsfähigkeiten negativ. Zusätzlich zu unserer verringerten Produktivität, führen diese Ablenkungen auch dazu, dass wir unsere innere Stimme nicht mehr hören. Und ohne unsere innere Stimme wissen wir auch nicht, was wir wirklich wollen und was uns wirklich wichtig ist.

Die Lösung:

Es gibt zahlreiche Online-Beiträge zum Thema, wie man seine Smartphone-Nutzung reduzieren kann. Auf diese möchte ich hier bewusst nicht im Detail eingehen, auch wenn sie wichtig und nützlich sind.

Mir persönlich hat es bisher am meisten geholfen, meine Apps gründlich auszumisten (auf meinem Smartphone befindet sich z.B. gerade keine Social Media und Youtube App) und mich beim Griff nach dem Handy bewusst zu fragen, warum ich gerade hin greife. Was kann ich sagen? Auch bei mir ist es ein work-in-progress.

Um aber konkret darauf einzugehen, wie man seine internen Impulse wie Werte und Ziele wahrnehmen kann: Wichtig ist es, Langeweile zuzulassen. Die Herausforderung dabei ist, dass dann zuerst einmal negative, unterdrückte Gedanken und Gefühle hochkommen. Das ist unangenehm, daher wollen wir es tendenziell vermeiden. Aber erst wenn wir durch diese unangenehmen Reaktionen auf äußere Einflüsse durchdringen bzw. die Gedanken zu Ende kommen lassen, sind wir sensibel für interne Impulse, wie unsere Ziele und Werte.

Ich kann lange Spaziergänge in der Natur sehr empfehlen, um die Gedanken zu Ende kommen zu lassen– natürlich ohne Smartphone 😊

3. Die Idee „Wir können alles haben, alles tun, alles sein“

Diese Idee, ist die nächste Hürde, die mir auf meinem Weg begegnet ist. Ich hörte meine inneren Impulse und plötzlich kamen unglaublich viele Ideen und Inspirationen hoch, was ich alles machen möchte: eine präsentere Mama und Partnerin sein, kreatives Schreiben und Fotografie ernsthaft weiterverfolgen, Gitarre spielen lernen, mit Freiwilligenarbeit die Welt zu einem besseren Ort machen… Puh!

Folgende Erkenntnisse, vor allem aus dem Buch „Essentialism“ von Greg McKeown, haben mir weitergeholfen:

Das Wort „Priorität“ kam im 17. Jahrhundert in die deutsche Sprache und zwar ausschließlich als Singular. Erst 200 Jahre später entstand die Pluralform „Prioritäten“.

Geprägt von der entstandenen Illusion, dass wir mehrere „erste“ Dinge haben können, lenken wir unsere begrenzte Zeit und Energie oft in endlos viele Richtungen. Dabei verlieren wir den Fokus darauf, was wirklich wichtig und bedeutungsvoll für uns ist. Und wir erreichen in keiner unserer vielen Verpflichtungen und Aktivitäten signifikante Fortschritte bzw. Ergebnisse.

Die Lösung:

Wir müssen akzeptieren, dass wir nicht alles haben, alles tun und alles sein können- schon gar nicht gleichzeitig.

Wir müssen uns entscheiden, bewusst auf Dinge verzichten, bewusst Abstriche machen und uns auf das Essentielle konzentrieren. Wenn wir unsere Entscheidungen nicht selbst bewusst treffen, tut es jemand anders für uns (z.B. der Chef, der Kollege, die Familie…).

Diese Erkenntnis war für mich einleuchtend und klar. Doch das Bild war für mich noch nicht vollständig, denn es fiel mir schwer, diese bewusste Entscheidung für etwas und gegen vieles andere zu treffen. Hier kommt der (bisher) letzte Aspekt ins Spiel:

4. Unsere Entscheidungsmüdigkeit

Wir treffen jeden Tag ca. 35.000 Entscheidungen. Und die Auswahlmöglichkeiten, die uns dabei begegnen sind enorm. Egal ob im eigenen Kleiderschrank bei der Wahl des Outfits, im Drogeriemarkt beim Einkauf von Shampoo oder bei der Suche nach der besten Versicherung – so viel Auswahl wie in der heutigen Zeit gab es noch nie.

Untersuchungen belegen, dass unser menschliches Gehirn von dieser Unmenge an Entscheidungen und Wahlmöglichkeiten überfordert ist. Im Fachjargon nennt man dieses Phänomen „decision fatigue“ oder Entscheidungsmüdigkeit. Je mehr Entscheidungen wir treffen müssen, desto schlechter wird die Qualität dieser Entscheidungen. Oft vermeidet es unser müdes Gehirn dann, überhaupt eine Entscheidung zu treffen. Es ist schlicht einfacher, gar nichts zu tun, als zu wählen.

Eine Studie von Oracle aus dem Jahr 2023 liefert dazu konkrete Zahlen aus dem Unternehmensumfeld in Deutschland. Über 60% der 1000 Befragten gaben an, dass sich die Anzahl der täglich zu treffenden Entscheidungen in den letzten 3 Jahren verzehnfacht (!) hat. Die stetig wachsende Menge an Daten und Quellen macht Entscheidungen für 85% der Teilnehmer komplizierter und führt öfter sogar dazu, dass wichtige Entscheidungen liegen bleiben.

Wie hängt dies nun damit zusammen, dass wir nicht wissen, was wir wollen? Durch die vielen alltäglichen Entscheidungen, die wir tagtäglich treffen müssen, verlieren wir den Blick für die essentiellen Entscheidungen im Leben. Unsere Energie ist schlichtweg durch andere Entscheidungen und/oder zu hohe Datenmengen verbraucht.

Die Lösung:

Um wieder Raum für die essentiellen Entscheidungen zu schaffen, hilft es, dort wo es möglich ist einmalige Entscheidungen zu treffen, die zukünftige Entscheidungen unnötig bzw. glasklar machen.

Was meine ich damit? Nehmen wir z.B. Steve Jobs: Seine einmalige Entscheidung war es, eine Arbeitsuniform zu tragen. Damit war klar, dass er jeden Tag Jeans und einen schwarzen Rollkragenpulli tragen wird und die tägliche Entscheidung über das Outfit wegfällt.

Es gibt viele Anwendungsmöglichkeiten dieser Methode. Ich arbeite auch noch daran und bin hier sicher noch am Anfang. Für mich persönlich war es aber bereits die Entscheidung, dass ich die Dinge grundsätzlich aus Liebe und nicht aus Angst tue, die viele andere Entscheidungen massiv vereinfacht hat.

Wenn du mehr dazu lesen willst, hier ist ein eigener Beitrag zum Thema einmalige Entscheidungen.


Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert